0.1 ↑ Grenzwerte bei rationalen Funktionen
0.1.1 ↑ Grundlegende Terminologie
f(x) = \frac{z(x)}{n(x)};
z: Zählerpolynom
n: Nennerpolynom
Zählergrad: Größter Exponent, der im Zählerpolynom z verwendet wird
Nennergrad: Größter Exponent, der im Nennerpolynom n verwendet wird
Höchste Potenz: x^{\text{insgesamt größter Exponent}}
"Grenzwert im Unendlichen existiert nicht":
Man schreibt \lim\limits_{x \to \pm\infty} f(x) = \infty, meint aber (trotz des Gleichheitszeichens), dass der Grenzwert nicht existiert – dass es keinen Wert gibt, dem sich f immer weiter annähert; stattdessen divergiert f ("haut ins Unendliche ab").
\lim\limits_{x \to x_0+}: Man nähert sich von rechts, also von größeren x-Werten als x_0, an die Stelle x_0 an (andere Schreibweisen sind auch üblich)
\lim\limits_{x \to x_0-}: Man nähert sich von links, also von kleineren x-Werten als x_0, an die Stelle x_0 an
Beispiel:
f(x) = \frac{3x^2 + 5x}{9x^3 - 2x + 3}
Zählerpolynom: z(x) = 3x^2 + 5x
Nennerpolynom: n(x) = 9x^3 - 2x + 3
Zählergrad: 2 (wg. 3x^2)
Nennergrad: 3 (wg. 9x^3)
Höchste Potenz: x^3
0.1.2 ↑ Verhalten im Unendlichen
Gefragt ist nach dem Grenzwert \lim\limits_{x \to \pm\infty} f(x) = \lim\limits_{x \to \pm\infty} \frac{z(x)}{n(x)}
0.1.2.1 ↑ Anschaulich
Im Unendlichen (egal ob positiv oder negativ Unendlichen) zählen nur die jeweils höchsten Potenzen, die anderen "sind so klein, dass sie nichts ausmachen".
Beispiele:
f(x) = \frac{3x^2 + 5x}{9x^3 - 2x + 3} \approx \frac{3x^2}{9x^3} = \frac{1}{3x};
\lim\limits_{x \to \infty} f(x) = \lim\limits_{x \to \infty} \frac{1}{3x} = 0;
\lim\limits_{x \to -\infty} f(x) = \lim\limits_{x \to -\infty} \frac{1}{3x} = 0;
f(x) = \frac{3x^2 + 5x}{9x^2 - 2x + 3} \approx \frac{3x^2}{9x^2} = \frac{1}{3};
\lim\limits_{x \to \infty} f(x) = \lim\limits_{x \to \infty} \frac{1}{3} = \frac{1}{3};
\lim\limits_{x \to -\infty} f(x) = \lim\limits_{x \to -\infty} \frac{1}{3} = \frac{1}{3};
f(x) = \frac{3x^3 + 5x}{9x^2 - 2x + 3} \approx \frac{3x^3}{9x^2} = \frac{x}{3};
\lim\limits_{x \to \infty} f(x) = \lim\limits_{x \to \infty} \frac{x}{3} = \infty;
\lim\limits_{x \to -\infty} f(x) = \lim\limits_{x \to -\infty} \frac{x}{3} = -\infty;
0.1.2.2 ↑ Formal
Zähler und Nenner beide durch die höchste Potenz teilen, also mit der höchsten Potenz kürzen.
Beispiele:
f(x) = \frac{3x^2 + 5x}{9x^3 - 2x + 3};
\lim\limits_{x \to \pm\infty} \frac{3x^2 + 5x}{9x^3 - 2x + 3} = {}\lim\limits_{x \to \pm\infty} \frac{3x^2/x^3 + 5x/x^3}{9x^3/x^3 - 2x/x^3 + 3/x^3} = {}\frac{0 + 0}{9 - 0 + 0} = \frac{0}{9} = 0;
f(x) = \frac{3x^2 + 5x}{9x^2 - 2x + 3};
\lim\limits_{x \to \pm\infty} \frac{3x^2 + 5x}{9x^2 - 2x + 3} = {}\lim\limits_{x \to \pm\infty} \frac{3x^2/x^2 + 5x/x^2}{9x^2/x^2 - 2x/x^2 + 3/x^2} = {}\frac{3 + 0}{9 - 0 + 0} = \frac{3}{9} = \frac{1}{3};
f(x) = \frac{3x^3 + 5x}{9x^2 - 2x + 3};
\lim\limits_{x \to \pm\infty} \frac{3x^3 + 5x}{9x^2 - 2x + 3} = {}\lim\limits_{x \to \pm\infty} \frac{3x^3/x^3 + 5x/x^3}{9x^2/x^3 - 2x/x^3 + 3/x^3} = \mathord{?};
Problem: Nenner ist Null → den Grenzwertübergang kann man nicht ausführen; der Grenzwert existiert nicht, f divergiert also.
0.1.2.3 ↑ Merkregeln
\text{Zählergrad} < \text{Nennergrad}: Funktion konvergiert gegen Null (bei beiden Seiten, also wenn gegen -\infty und gegen +\infty gehend)
\text{Zählergrad} = \text{Nennergrad}: Funktion konvergiert (bei beiden Seiten) gegen den Wert, der sich ergibt, wenn man alle bis auf die jeweils höchste Potenzen LÖSCHT
Beispiel:
\lim\limits \frac{3x^2 + 5x}{9x^2 - 2x + 3} = \frac{3}{9} = \frac{1}{3};
\text{Zählergrad} > \text{Nennergrad}: Funktion divergiert; der Grenzwert existiert nicht
Ob die Funktion gegen +\infty oder -\infty strebt, wenn man gegen +\infty oder -\infty läuft, erkennt man am einfachsten über die anschauliche Argumentation.
0.1.3 ↑ Verhalten an einer bestimmten Stelle
Gefragt ist nach dem Grenzwert \lim\limits_{x \to x_0} f(x) = \lim\limits_{x \to x_0} \frac{z(x)}{n(x)} mit x_0 \in \mathds{R}; hier geht es also nicht um das Verhalten im Unendlichen.
0.1.3.1 ↑ Vorgehen zum Bestimmen des Grenzwerts an einer bestimmten Stelle
0.1.3.1.1 ↑ Kürzen
Man versucht, den Unterausdruck, der Probleme macht (weil er zu einer Division durch Null führen würde), zu kürzen:
\lim\limits_{x \to 1+} \frac{\left(x-1\right) \left(x-2\right)}{x-1} = {}\lim\limits_{x \to 1+} \left(x-2\right) = {}1-2 = -1;
0.1.3.1.2 ↑ Faktorisieren
Man versucht, Zähler- und Nennerpolynom zu faktorisieren, um danach kürzen zu können:
\lim\limits_{x \to 1+} \frac{x^2 - 3x + 2}{x - 1} = {}\lim\limits_{x \to 1+} \frac{\left(x-1\right) \left(x-2\right)}{x-1} = {}\text{(wie oben)} = -1;
Faktorisieren von quadratischen Ausdrücken über die Lösungsformel: ax^2 + bx + c = a \left(x - x_1\right) \left(x - x_2\right) mit x_{1,2} = \frac{-b \pm \sqrt{b^2 - 4ac}}{2a};
Faktorisieren von kubischen Ausdrücken durch Erraten einer Nullstelle und anschließender Polynomdivision
0.1.3.1.3 ↑ h-Methode
Man drückt das Annähern gegen die Stelle x_0 durch Annähern an 0 aus. Diese Methode kann man nicht anwenden, wenn man eh schon den Grenzwert an der Stelle 0 bestimmen will.
Beispiel (Substitution x = 1 + h):
\lim\limits_{x \to 1+} \frac{x^2 - 3x + 2}{\left(1 + h\right) - 1} = {}\lim\limits_{h \to 0+} \frac{\left(1 + h\right)^2 - 3 \left(1 + h\right) + 2}{1 + h - 1} = {}\lim\limits_{h \to 0+} \frac{1 + 2h + h^2 - 3 - 3h + 2}{h} = {}\lim\limits_{h \to 0+} \frac{h^2 - h}{h} = {}\lim\limits_{h \to 0+} \left(h - 1\right) = -1;
Man lässt das h immer von rechts gegen 0 gehen, unabhängig davon, ob der ursprüngliche Grenzwertprozess von links oder rechts durchgeführt werden sollte.
Man substituiert wie folgt:
x = x_0 + h, wenn der ursprüngliche Grenzwertprozess von rechts ausgeführt werden sollte
x = x_0 - h, wenn der ursprüngliche Grenzwertprozess von links ausgeführt werden sollte
0.1.3.2 ↑ Anwendungen des Grenzwerts an einer bestimmten Stelle
0.1.3.2.4 ↑ Behebung von Definitionslücken
Beispiel:
f(x) = \frac{x^2 - 3x + 2}{x - 1}; \quad D_f = \mathds{R} \setminus \left\{ 1 \right\};
Man kann eine Funktion an einer Definitionslücke dann stetig ergänzen, wenn der Grenzwert von links mit dem von rechts an der Stelle übereinstimmt:
\lim\limits_{x \to 1+} f(x) = \text{(wie oben)} = -1;
\lim\limits_{x \to 1-} f(x) = \cdots = -1;
Man kann somit folgende Funktion \tilde f konstruieren, die in allen Stellen, an denen auch die ursprüngliche Funktion f definiert ist, mit f übereinstimmt, und die an der Definitionslücke – anders als f – kein Loch hat, sondern wohldefiniert ist:
\tilde f(x) = \begin{cases} {} \frac{x^2 - 3x + 2}{x - 1} & \text{für } x \neq -1; \\ {} -1 & \text{für } x = -1; \end{cases}
Hat man zum Bestimmen der Grenzwerte faktorisiert, kann man \tilde f auch nicht durch eine abschnittsweise Definition ausdrücken:
f(x) = \frac{x^2 - 3x + 2}{x - 1} = \text{(\ldots faktorisieren\ldots)} = \frac{\left(x - 1\right) \left(x - 2\right)}{x - 1};
\tilde f(x) = x - 2;
Obacht: Auch wenn man den Funktionsterm der ursprünglichen Funktion kürzt, also schreibt...
f(x) = \frac{x^2 - 3x + 2}{x - 1} = \text{(\ldots faktorisieren\ldots)} = \frac{\left(x - 1\right) \left(x - 2\right)}{x - 1} = x - 2;
...so ist die ursprüngliche Funktion trotzdem nicht an der problematischen Stelle definiert! Der Definitionsbereich ändert sich nicht durchs Kürzen!
0.1.3.2.5 ↑ Überprüfung auf Stetigkeit
Eine Funktion f ist an einer Stelle x_0 genau dann stetig, wenn der Grenzwert von links mit dem von rechts und zusätzlich noch dem Funktionswert übereinstimmt; in Symbolen:
f stetig an x_0 ⇔ \lim\limits_{x \to x_0+} f(x) = \lim\limits_{x \to x_0-} f(x) = f(x_0);
Sollte einer der beiden Grenzwerte oder sogar beide Grenzwerte nicht existieren, so ist die Funktion an der jeweiligen Stelle nicht stetig.